Im Alltag sind wir es meist gewohnt, unsere Sinne nach außen zu richten, die Dinge in den für uns typischen Mustern zu erledigen und uns eher kognitiv leiten zu lassen. Unsere Gedanken und Meinungen zu etwas geben eine Richtung an. Sehr viel seltener richten wir unsere Wahrnehmung nach innen, in unseren Körper, und hören aufmerksam zu, wie unser Körper gerade gestimmt ist oder auf die aktuelle Situation reagiert. Obwohl es mittlerweile populär ist, vom „Bauchhirn“ mit seinen etwa hundert Millionen Nervenzellen zu sprechen, achten wir den größten Teil des Tages nicht auf unsere Köperempfindungen.
Wenn wir unsere Wahrnehmung zu sehr nach außen richten, kann es passieren, dass wir den Kontakt zu uns selbst verlieren und zu sehr darauf hören, was „man“ bzw. Andere für richtig halten. Oder wir verlieren uns in vielen Ideen, ohne so recht zu spüren, was wir eigentlich wollen. Dabei wissen wir meist, dass nicht nur der Kopf einverstanden sein, sondern auch das Körpergefühl stimmig sein muss, damit wir uns mit unserem Handeln und unseren Entscheidungen wohl fühlen. Es lohnt sich, innezuhalten und zu erforschen, wie unser Körper reagiert – vor allem, wenn wir selbstbestimmt leben wollen.
Wie kann das aussehen? In welchen Situationen ist es hilfreich, den Signalen des Körpers aufmerksam zuzuhören? Es gibt mit Sicherheit verschiedene Wege, um wieder in Kontakt mit unserer inneren Stimme zu kommen. Und das nicht erst nach einer zehnjährigen Meditationspraxis. 😉 Es kann uns in allen möglichen Situationen helfen, beispielsweise wenn wir überfordert sind, eine Entscheidung treffen wollen, überwältigende Gefühle haben, bei Konflikten, wenn unsere Kreativität wieder fließen soll, oder wir uns aus einer negativen Gedankenspirale befreien wollen.
Eine Möglichkeit, die ich vor allem empfehle, wenn wir überfordert sind oder von Gefühlen überwältigt werden, ist die achtsame Wahrnehmung von dem, was ist. Das ist vielleicht die Basis-Übung, mit der wir wieder in Kontakt mit unserem Körperempfinden kommen und unsere Aufmerksamkeit wieder in uns selbst verankern können. Schritt 1: Innehalten, vielleicht einmal Durchatmen – Schritt 2: Lokalisieren: Was in meinem Körper braucht gerade meine Aufmerksamkeit und wo nehme ich es wahr? – Schritt 3: eine Zeit lang damit verweilen, es aufmerksam beobachten, ohne etwas zu verändern.
Indem wir uns diese Zeit gönnen und den Empfindungen und Gefühlen in unserem Körper Aufmerksamkeit schenken, kann sich womöglich schon etwas ein klein wenig verändern oder lösen. Das ist jedoch nicht das Ziel, sondern genießen Sie einfach die kleine Zeit, die Sie sich für sich selbst genommen haben…
Im Focusing nach Eugene T. Gendlin arbeiten wir mit dem Felt Sense, der über ein Gefühl im Körper (z.B. Ärger, Aufregung, Trauer) oder die unmittelbare Körperempfindung (z.B. Druck im Bauch, Spannung im Nacken) hinausgeht. Der Felt Sense ist eine Art Hintergrund-Erleben (neurobiologisch gesprochen), die somatische Resonanz auf ein Thema oder eine Wahrnehmung. Er ist noch kein bestimmter Gedanke, kein Bild oder ein identifizierbares Gefühl. Vielmehr ist er die noch vor-begriffliche, unbestimmte innere Ganzheitswahrnehmung eines Themas.
Diese ursprüngliche Resonanz wird im Focusing angefragt, indem wir zunächst „das Ganze eines Themas X“ auf uns wirken lassen. Es kann eine Zeit lang dauern (10-30 Sek.), bis ein Felt Sense dazu entsteht, der als Ganzheit und nur vage spürbar ist. Er umfasst die Bedeutung des Themas für eine Person in aller Fülle und Tiefe. Der Felt Sense kann zu allen möglichen Themen und Fragen, die wir haben, angefragt werden, so dass diese Themen nicht auf gedanklicher Ebene behandelt werden, sondern eine dahinter liegende, ganzheitliche Resonanz entsteht. Wenn wir uns Zeit nehmen, damit zu verweilen, können daraus weitere Symbolisierungen, Bilder, Worte, Gefühle etc. hervorsteigen.
Einladung zum Innehalten. Vielleicht haben Sie Lust auf ein kleines Experiment. Dann lade ich Sie ein, sich an ihren letzten Urlaub zu erinnern und innerlich das Ganze dieses Urlaubs anzufragen. Nehmen Sie alles zusammen, die Landschaft, das Wetter, Ihre Unterkunft, Ihre Begleitung, die Anreise und Ihre Unternehmungen etc. Wenn Sie all dies zusammennehmen und Ihre Aufmerksamkeit nach Innen lenken, Richtung Brust- und Bauchraum, welche innere Atmosphäre, welches Erleben nehmen Sie wahr?
Die Schritte im Focusing: das Ganze eines Themas aufrufen – einen Felt Sense dazu entstehen lassen – daraus Worte, Bilder Gefühle etc. hervorsteigen lassen – und weitere Fragen an den Felt Sense richten -, die hier sicherlich verkürzt dargestellt sind, bilden einen weiteren Weg, um unsere innere Weisheit zu entdecken und eigene Antworten und Lösungsschritte auf unsere Fragen und Probleme zu finden.
Ich wünsche Ihnen, dass Sie Zeit finden, um innezuhalten und aufmerksam zu sein für die Botschaften und die Weisheit Ihres Körpers. Manchmal genügt es schon zu fragen: Was nehme ich jetzt gerade innerlich wahr? Was in mir will gerade meine Aufmerksamkeit? Manchmal muss es sicherlich auch tiefer gehen und braucht vielleicht eine Begleitung. Viel Freude bei der Entdeckung Ihrer inneren Stimme.