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Jüngere Ichs/Anteile kennenlernen – ein Zugang zu den „inneren Kindern“
Vielleicht kennen Sie das ja: Sie erreichen ein persönliches Ziel und in die Freude über die Anerkennung mischt sich auch ein jüngerer, kindlicher Anteil, der sich „mitfreut“. Sie erleben einen besonderen Tag mit einem Freund/einer Freundin und auch hier steigt so etwas wie eine spielerische, kindliche Freude in Ihnen auf. Aber auch: Jemand äußert Kritik an Ihnen und sofort fühlen Sie sich wieder traurig und missachtet wie in ein paar Situationen aus Ihrer Vergangenheit…
Das sind alltägliche Situationen, in denen Sie vielleicht schon einmal in Kontakt mit einem Ihrer jüngeren Ichs bzw. inneren Kindern waren, ohne sich groß Gedanken darüber zu machen. Es ist relativ natürlich für uns, dass bei manchen Erlebnissen, jüngere, vertraute Wahrnehmungen und Gefühle in uns hochsteigen. Wenn wir mit dem Modell des „inneren Kindes“/der jüngeren Anteile vertraut sind, kann es sein, dass zugleich ein Bild als Symbol in uns aufsteigt, von der „jüngeren Susanne“ oder dem „kleinen Tobi“.
Die Vorstellung kindlicher Anteile im Menschen wurde bereits früh in psychoanalytischen Theorien angelegt. In der Trauma-Therapie wird von sogenannten „Ego-States“ („Ich-Anteilen“) gesprochen, die auch eine kreative Schöpfung der Persönlichkeit darstellen.
Während wir uns in unserem Alltagsbewusstsein meist vorstellen, wir seien immer die Gleichen, setzt das Modell vieler Ichs voraus, dass wir jeden Tag so etwas wie neue Menschen mit unterschiedlichen Anteilen sind. Die jüngeren Ichs können in uns mehr oder weniger präsent sein, mit manchen sind wir nie in Kontakt, andere machen sich regelmäßig bemerkbar. In manchen Fällen können frühere Erlebnisse und Verletzungen dazu führen, dass Lebensprozesse unterbrochen bzw. „gestoppt“ wurden, und dadurch das innere Erleben wie „eingefroren“ ist. Arbeit mit verletzten inneren Anteilen setzt ein behutsames Vorgehen voraus – für das Stabilität und ein sicherer Rahmen Voraussetzungen sind.
In einer Therapie stehen meist verletzte jüngere Anteile im Mittelpunkt. Es geht darum, sich Ihnen mitfühlend und tröstend zuzuwenden und sich im ersten Schritt zunächst ein wenig vertraut mit Ihnen zu machen. Wenn wir davon ausgehen, dass wir jeden Tag so etwas wie neue Menschen mit unterschiedlichen Anteilen sind, dann ist es auch möglich, sich vorzustellen, dass ich als heutige, erwachsene Person, in Kontakt treten kann mit meinen jüngeren Ichs, dass ich mit Ihnen sprechen, sie trösten und unterstützen kann.
Im therapeutischen Setting genügt es zu Beginn vielleicht, wahrzunehmen, welches innere Bild entsteht und etwas genauer zu beobachten, wie das innere Kind aussieht, wo es sich befindet und was es gerade tut. Nicht jedes jüngere Ich ist gleich bereit, sich vertrauensvoll dem Erwachsenen zuzuwenden. Oft ist es hilfreich, das Kind in der Vorstellung erst einmal aus der ursprünglichen Situation herauszuholen und ihm einen Platz im Raum zu geben. Wichtig ist mir dabei, dass zwischen dem anwesenden erwachsenen Ich und dem jüngeren Ich, zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart unterschieden wird.
Wenn es Ihnen nicht um die Arbeit mit verletzten jüngeren Anteilen geht, sondern Sie den Kontakt zu einem Ihrer jüngeren Ichs etwas vertiefen möchten, können Sie sich Ihrem inneren Kind auch spielerisch etwas häufiger zuwenden. Beobachten Sie, wann sich in alltäglichen Situationen schon etwas von der ursprünglichen kindlichen Lebensenergie zeigt, und wenn Sie sich Zeit nehmen und ein wenig dabei verweilen: Welches Bild steigt in Ihnen auf? Folgen Sie dem, was sich zeigt und spielen Sie vielleicht ein wenig mit dem Kind. Oder Sie überlegen, an welche Orten sich Ihr inneres Kind besonders wohl fühlen würde und besuchen Sie diese einmal. Sie können auch Ihr Lieblingskinderbuch lesen oder oder oder…
Ihrem jüngeren Ich – und auch Ihnen selbst – wird das höchstwahrscheinlich sehr guttun. Sie bewahren sich damit einen kostbaren Teil Ihrer kindlichen Lebensenergie und sorgen zugleich für ein zufriedenes Gefühl sowie für mehr Einklang mit sich selbst.
Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Spielen, Träumen und dem (Wieder-)Entdecken Ihrer kindlichen Seiten!
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Selbstmitgefühl – ein achtsamer Umgang mit den eigenen Gefühlen
Ängste, Reizbarkeit, Wut oder Traurigkeit – wenn wir negativ empfundene Gefühle bei uns bemerken, reagieren wir darauf meistens wie auf unliebsame Gäste, die wir schnellstens wieder loswerden möchten. Unbewusst haben wir gelernt, dass es ungehörig ist, Aggressionen zu zeigen, und dass Traurigkeit zu einer depressiven Stimmung führen kann. Wir wollen Angst, Wut, Trauer etc. nicht ausgeliefert sein und versuchen deshalb, sie zu unterdrücken und möglichst nicht zu fühlen.
Häufig befürchten wir, dass die Gefühle intensiver werden und nicht mehr weggehen. Also dass wir wie in einem Meer der Traurigkeit versinken oder dass unsere Aggressionen anhalten und für uns und andere zerstörerisch wirken. Dagegen sprechen jedoch neuere Forschungsergebnisse, wie die der Neurologin Jill B. Taylor, die besagen, dass die meisten starken Empfindungen unseres Gehirns nach gut 90 Sekunden so weit abklingen, dass wir wieder ‘normal’ denken und handeln können.
Es bedeutet, dass die meisten Gefühle von selbst wieder verschwinden können – wenn es uns gelingt, sie zeitweise anzunehmen und auch wieder loszulassen. Was jedoch meistens passiert, ist, dass wir gegen die unerwünschten Gefühle ankämpfen, Widerstand leisten und Angst vor ihnen entwickeln. Das führt im Gegenzug nur dazu, dass auch die Gefühle mehr Widerstand leisten und dass wir länger an ihnen festhalten und uns mehr in sie verstricken, als wir eigentlich wollen.
Wie kann es gelingen, auch unangenehme Gefühle anzunehmen? Den wirksamsten Weg, den ich kenne, ist, die Gefühle achtsam als eine körperliche Empfindung wahrzunehmen. Das kann sich erstmal kontraintuitiv anfühlen – wenn sich etwas unangenehm anfühlt, ist unsere spontane Reaktion, es wegzudrücken und es nicht haben zu wollen, statt sich dem aufmerksam und ohne zu werten zuzuwenden. Aber genau das meint die achtsame Wahrnehmung: sich die Zeit zu nehmen, sich dem Gefühl zuzuwenden und es im Körper zu spüren.
Wie wendet man sich einem unangenehmen Gefühl im Körper zu?
Wir können beobachten, wo im Körper das Gefühl am stärksten zu spüren ist: Fühlt es sich eher an wie ein Druck im Magen, ein Kloß im Hals oder wie eine Traurigkeit hinter den Augen? Wie würden wir es beschreiben, ist es eher groß oder klein, hart oder weich, fest oder fließend? Welche Temperatur hat es? Ist es hell oder dunkel oder hat es eine bestimmte Farbe? Es geht darum, in Kontakt damit zu sein, es interessiert und wohlwollend wahrzunehmen.
Geben Sie dem Gefühl und sich selbst eine Zeit lang ihre volle Aufmerksamkeit – anders als im Alltag, wo wir schnell über uns selbst hinweggehen. Es muss dabei nichts passieren, es gibt kein Ziel zu erreichen, außer mit Ihnen und Ihrem Inneren in Kontakt zu sein. Vielleicht entsteht ein Bild, vielleicht kommen auch Botschaften, die Sie sonst überhören. „Ich kann nicht mehr.“, „Das finde ich blöd.“, „Das hat mich verletzt“… oder ganz andere. Hören Sie einfach freundlich und aufmerksam dem zu, was immer auftaucht.
Bleiben Sie einfach eine Weile mit Ihrer Aufmerksamkeit dort und verweilen Sie einfach mit dem was ist. Sie können zwischendurch immer mal wieder nachspüren, ob sich etwas verändert, wenn Sie Ihre Gefühle körperlich wahrnehmen. Sich so Ihren Gefühlen zuzuwenden bedeutet nicht, sich darin zu verlieren. Vielmehr haben Ihre Gefühle eine Chance, sich zu wandeln und abzufließen, wenn sie aufmerksam wahrgenommen werden.
Sie können sich das Gefühl auch vorstellen wie ein kleines Kind, dem Sie sich hier und jetzt liebevoll zuwenden. Wie würden Sie mit einem Kind sprechen, das sich momentan so fühlt? Welches Mitgefühl und welchen Trost würden Sie ihm schenken? Gibt es eine Geste, die jetzt guttun würde? Vielleicht möchten Sie ihm mitteilen, dass Sie da sind und ihm zuhören; vielleicht möchten Sie ihm auch einfach eine Weile Gesellschaft leisten.
Wenn Sie sich Ihren Gefühlen so achtsam zuwenden, entsteht eine Grundhaltung, die fragt: Wie kann ich mich selbst in diesem Moment beruhigen und trösten? Selbstmitgefühl ist das Gegenteil davon, sich selbst innerlich Druck zu machen oder etwas an Ihnen abzulehnen. Stattdessen nehmen Sie ihre Gefühle und sich selbst liebevoll an.
Zuletzt noch ein Tipp: Wenn die Gefühle besonders intensiv und schwer auszuhalten sind, gehen Sie langsam vor. Nehmen Sie den Widerstand wahr und drängen Sie sich nicht, ihre Grenzen zu überschreiten. Oft hilft es, sich zunächst am äußeren Rand der Empfindung aufzuhalten und erst weiterzugehen, wenn es sich sicher und erträglich anfühlt.
Ich wünsche Ihnen viele Freude bei der Erforschung Ihrer Gefühle und einen liebevollen, mitfühlenden Umgang mit sich!
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Einmal die Perspektive wechseln – eine Weisheitsgeschichte
Wenn ich mich in einer herausfordernden Situation befinde, mich darin wie gefangen fühle und erstmal keinen guten Ausgang sehe, hilft mir die folgende Geschichte, die Perspektive – vielleicht nur für einen Moment – zu ändern:
Ein Bauer hatte ein Pferd, aber eines Tages lief es fort und der Bauer und sein Sohn mussten ihre Felder selbst pflügen. Die Nachbarn sagten: “Was für ein Pech, dass euer Pferd weggelaufen ist!”. Aber der Bauer antwortete: “Wer weiß, wozu es gut ist?”
Eine Woche später kam das Pferd zum Bauernhof zurück und brachte eine ganze Herde wilder Pferde mit. “So viel Glück!” riefen die Nachbarn, aber der Bauer sagte: “Wer weiß, wozu es gut ist?”
Kurz danach versuchte der Sohn des Bauern, eines der wilden Pferde zu reiten – aber er wurde abgeworfen und brach sich ein Bein. “Oh, so ein Pech!” Die Nachbarn hatten Mitleid, aber der Bauer sagte wieder: “Wer weiß, wozu es gut ist?”
Ein paar Tage später zog der Landesherrscher alle jungen Männer in sein Heer ein, um in die Schlacht zu ziehen. Aber den Sohn des Bauern ließen sie wegen seines gebrochenen Beins zu Hause: “Was für ein Glück, dass dein Sohn nicht in die Schlacht ziehen muss!” freuten sich die Nachbarn.
“Wer weiß, wozu es gut ist?”
(Verfasser unbekannt)
Die Geschichte erinnert mich daran, ein Stück weit loszulassen – die Situation mehr so zu akzeptieren, wie sie ist, und darauf zu vertrauen, dass es einen Sinn hat, auch wenn ich ihn jetzt noch nicht sehen kann.
Ich wünsche uns allen viel Inspiration, Weisheit und gute Geschichten!
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Sinn nach Viktor Frankl
Sinn kann nicht gegeben werden, sondern muss gefunden werden. (Viktor Frankl)
Schon länger hatte ich die Idee, hier einen Beitrag über eins meiner großen Vorbilder zu schreiben, den österreichischen Neurologen und Psychiater Viktor Frankl (1905-1997). Frankl begründete die Logotherapie und Existenzanalyse, die neben Freud und C.G. Jung auch als „dritte Wiener Schule der Psychotherapie“ bezeichnet wird. Bekannt wurde er insbesondere durch das Buch „…trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager“, in dem er seine Eindrücke und Erfahrungen im Konzentrationslager während des Zweiten Weltkriegs beschreibt.
Als Einziger aus seiner Familie überlebte Frankl die Inhaftierung im Konzentrationslager. In seinem autobiographischen Buch schildert er weniger die Gräueltaten dieser Zeit, sondern richtet die Aufmerksamkeit auf den Alltag der Häftlinge, die Auswirkung der Einlieferung ins Konzentrationslager und auf die Beziehung der Häftlinge untereinander und zu den Aufsehern… Noch unter den extremsten inhumanen Bedingungen, so beschreibt es Frankl in seinem Buch, ist es möglich, Sinn im Leben zu finden. Ein solcher Sinn (ein Wozu) mache es möglich, auch die extremsten Bedingungen zu ertragen.
Der Sinn für Frankl war in dieser Zeit die Vorstellung, später ein Buch über die Grausamkeiten und Bedingungen in diesen Lagern zu veröffentlichen; er wollte überleben, um später davon zu berichten.
Darin zeigt sich auch, dass der Sinn für jeden Menschen individuell ist. Nicht jeder Mensch wird seinen Sinn darin finden, ein Buch über die Geschehnisse seiner Zeit zu schreiben und Menschen dadurch etwas zu vermitteln und aufzuklären. Dennoch geht Frankl davon aus, dass jeder Mensch so etwas wie einen „Willen zum Sinn“ in sich trage, dass jeder Mensch nach Sinn strebt. „Sinn“ kann nach Frankl zudem nicht willkürlich „gemacht“ oder von außen gegeben werden, sondern Sinn liegt in uns und in der Welt bereits schon vor, und muss „gefunden“, von uns wahrgenommen werden, wie das Zitat oben andeutet. Es kann demnach als Aufgabe des Menschen verstanden werden, „den einmaligen und einzigartigen Sinn, der in jeder Situation verborgen ist, aufzuspüren.“ (Frankl)
Kategorien von Sinn nach Frankl
Welche Möglichkeiten, Sinn zu finden, hat der Mensch nach Frankls Auffassung? In seinen Schriften unterscheidet er drei Wertkategorien – Möglichkeiten, durch die ein Mensch in seinem Leben Sinn verwirklichen kann:
1. Schöpferische Werte bzw. Kreativität: Ein Mensch kann Sinn darin finden, etwas (Materielles) zu schaffen, ein Produkt oder eine Idee, die er von sich nach außen umsetzt. Der schöpferische Anteil, die Bedeutung kann darin liegen, eine kreative Arbeit wie beispielsweise ein Buch fertigzustellen, einen sinnvollen Beitrag für etwas Größeres/für die Welt zu leisten oder auch die selbständige Ausführung einer eigenen Idee, statt Vorgaben auszuführen… Grundsätzlich können schöpferische Werte alles umfassen, das wir tun, machen oder aufbauen, also auch unsere Beziehungen, unser Beruf, Wissen, politisches Engagement…
2. Erlebenswerte: Damit sind alle Erlebnisse gemeint, die von außen auf uns einwirken und dadurch Sinn entstehen lassen, wie beispielsweise Erfahrungen in der Natur, durch Musik, Kunst, die Beziehung zu anderen Menschen, die uns etwas bedeuten und dadurch auf uns einwirken. Ein Mensch kann Sinn „erleben“ auf Wanderungen in der Natur, bei der Wahrnehmung des Wunders der Schöpfung oder auch beim Genuss eines Konzerts; ein anderer findet Sinn, Zufriedenheit und Geborgenheit in der Beziehung zu anderen Menschen, im Zusammensein mit dem Partner/der Partnerin oder in der Gemeinschaft mit den Arbeitskollegen…
3. Einstellungswerte: Gemeint ist die innere Haltung, zu Dingen und Ereignissen, die wir nicht ändern können. Eine von Frankls bedeutendsten Aussagen ist, dass es zur letzten Freiheit des Menschen gehöre, dass er seine Einstellung unter welchen Umständen auch immer frei wählen und einen eigenen Weg wählen kann. Das bedeutet, wir können wählen, welche innere Haltung wir in einer schwierigen Situation einnehmen, ob wir sie annehmen und in Würde damit umgehen oder ob wir die Verantwortung abgeben. Das können beispielsweise unser Umgang mit und unsere Haltung zu einer Krankheit, zum Älterwerden oder auch zu einer anderen herausfordernden Situation sein. Selbst im Leiden gibt es nach Frankl noch die Möglichkeit, durch unsere Einstellung dazu für andere ein Vorbild zu sein.
Für mich sind die Biografie Viktor Frankls, seine Logotherapie und die Definition von Sinn immer wieder enorme Inspirationsquellen. Vielleicht kann der Artikel ein paar Aspekte aufzeigen und zum Nachdenken über das Thema Sinn anregen… Ich wünsche Ihnen viele schöpferische und sinnhafte Momente!
Literatur:
- Viktor Frankl, „…trotzdem Ja zum Leben sagen. Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager. München, 2018.
- Viktor Frankl, „Das Leiden am sinnlosen Leben. Psychotherapie für heute,“ Freiburg, Basel, Wien, 1997.
(Foto von Prof. Dr. Franz Vesely, Wikimedia Commons)
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Radikale Selbstverantwortung
Ich übernehme die Verantwortung:
…für alle meine Gefühle
…für meine Verletzungen und Wunden
…dafür, dass ich andere verletzt habe
…für meine Bedürfnisse
…für meine Liebe
…mein Glück und mein Unglück
…für meinen Anteil an Beziehungen
…für meine Grenzen
…für mein Licht und meine Schatten
…dafür, dass es mir gut geht
…für die Zeiten, in denen es mir schlecht geht
…für meine Arbeit und Lebensaufgaben
…für meine Pausen
…für meine Erfolge
…für meine Fehler und meine Schwächen
…für mein Wohlbefinden
…für mein Selbstbewusstsein und die Wertschätzung meiner Person
…für meine Entscheidungen, für mein Ja und mein Nein
…für meine Gesundheit und meine Krankheiten
…für meine Heilung
Ich hole mir meine Macht zurück.
Vor Kurzem habe ich hier einen Artikel über Erlernte Hilflosigkeit veröffentlicht. In den letzten Tagen ist mir erneut klar geworden, was das Gegenmittel dafür ist: so vollständig wie möglich die Verantwortung für sich und das eigene Handeln zu übernehmen. Keine Opferrolle anzunehmen und damit die eigene Macht und die Verantwortung an andere abzugeben.
Unsere Erfahrungen prägen uns und wir stehen immer wieder vor Herausforderungen. Gleichzeitig haben wir die Möglichkeit, durch unsere Entscheidungen darauf zu reagieren, wie wir es für sinnvoll halten. Keiner ist „schuld“ daran, was uns geschieht und was wir erleben – mir ist wichtig, was ich daraus mache. Ich habe mich entschieden, mir diese Verantwortung zurückzuholen – und mich selbst zu ermächtigen.
Diese Erkenntnis kann das eigene Leben ganz schön umkrempeln, und gleichzeitig zutiefst reich und lebendig machen. In manchen Fällen geht es vielleicht auch darum zu erkennen, was ist mein Anteil und wo liegt der Anteil von anderen Menschen – aber auch dann bin ich herausgefordert zu wählen, wie weit will ich mitgehen und wo liegt meine Grenze. Mir persönlich hilft es dann, mir selbst und dem Prozess/dem Leben zu vertrauen.
Das war mir einen Special-Blogbeitrag an Ostern wert. ;-)
Ich wünsche Euch allen frohe und gesunde Osterfeiertage!
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Kraftquellen: Was nährt mich wirklich?
Seit Beginn des letzten Jahres – also noch vor Corona – habe ich mir die Frage gestellt, was mir guttut und was mich persönlich nährt. Die Frage hat mich das ganze Jahr über begleitet und ich habe immer wieder aufmerksam wahrgenommen, was mir gute Energie gibt, besonders in den Phasen, in denen ich meinen Energiespeicher wieder auffüllen musste. Ich wollte etwas dafür tun, um mich gesund und wohl zu fühlen, und habe mich deshalb auf die Suche nach meinen Kraftquellen gemacht.
Meine aktuelle Antwort auf die Frage, was mich wirklich nährt, lautet: Schlafen, Bewegung (z.B. laufen, wandern und Yoga), meinem Körper zuhören, (Herzens-)Gespräche mit Freunden, Zeit in der Natur, Zeit fürs Nichtstun, Zeit für Spiritualität, gesundes Essen, eine sinnvolle Arbeit, Pausen bei der Arbeit machen, mich unterstützen lassen (z.B. durch Supervision), Grenzen setzen (z.B. auch bei der Arbeitszeit), Tanzen, Musik, Lesen, Ausflüge am Wochenende, neue Dinge lernen, Achtsamkeit.
Die individuellen Kraftquellen herauszufinden kann auch bedeuten, sich mit den eigenen Bedürfnissen zu beschäftigen: Welche Bedürfnisse erfülle ich mir im Allgemeinen sehr gut, welche Bedürfnisse werden weniger genährt? Habe ich ein Gefühl dafür und nehme wahr, was ich brauche? Fällt es mir eher leicht oder schwer, meine Bedürfnisse zu kommunizieren und für ihre Erfüllung zu sorgen? Übernehme ich Verantwortung für meine tiefen Bedürfnisse? Spannend finde ich auch, ein Bedürfnis auszuwählen (z.B. Sicherheit, Liebe, Geborgenheit etc.) und eine Weile achtsam wahrzunehmen, wie es auf mich wirkt, wenn ich damit in Kontakt bin…
Die Suche nach den Kraftquellen bedeutet gleichzeitig nicht, dass ich mich ständig in meiner Kraft fühle oder dass es mir andauernd gut gehen muss… Paradoxerweise kann es auch eine Kraftquelle sein, wenn ich mir erlaube, dass es mir auch mal schlecht gehen darf. Müdigkeit und Erschöpfung haben auch eine nährende Funktion: Sie zeigen mir an, wann es für mich wichtig ist, langsamer zu machen, eine Pause einzulegen oder eine Auszeit zu nehmen. Das Nährende kann sein, die darin enthaltene Botschaft zu hören und sich der Erschöpfung hinzugeben.
Weitere Anregungen für mehr Kraft und Energie
Welche Möglichkeiten gibt es, um mich mit Energie zu versorgen und wieder Kraft zu schöpfen? Eine Auswahl möchte ich hier gern vorstellen:
1. Für Schlaf sorgen. Schlaf ist die Basis, um sich wohl und gut versorgt mit Energie zu fühlen. Finden Sie heraus, wie viel Schlaf Sie benötigen (in der Regel mindestens 6 bis 8 Stunden pro Nacht). Sorgen Sie für Regelmäßigkeit und eine ruhige Schlafumgebung. Auch regelmäßige Bewegung am Tag hilft, um gut ein- und durchzuschlafen. Vielleicht hilft es auch, ein Schlaftagebuch zu führen, um die nötige Schlafdauer besser einzuschätzen.
2. Pausen und Entspannungszeiten einplanen. Sie können Ihre Pausen über den Tag verteilt bereits vorab einplanen und sogar in den Terminkalender eintragen. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass kurze Pausen nach jeweils 90 Minuten notwendig und am effektivsten sind. Auch regelmäßige Entspannungszeiten, wie ein freier Tag am Wochenende oder unter der Woche sowie Urlaube sollten fest eingeplant werden.
3. Energie durch Ernährung gewinnen. Welche Ernährung uns Energie gibt und welche uns eher träge macht ist für jeden Menschen verschieden. Achten Sie mal darauf, welcher Essensrhythmus (d.h. zu welchen Uhrzeiten) und welche Nahrungsmittel Sie eher mit Energie versorgen. Lebensmittel mit einer hohen Nährstoffdichte, mit vielen Vitaminen, Mineralien und Flavonoiden spenden und meist mehr Energie.
4. Bewegung. Bewegung verbessert nicht nur unsere Schlafqualität, sondern gibt uns auch Energie, versorgt unseren Körper mit Sauerstoff und hilft uns dabei, Stress abzubauen. Es muss ja nicht gleich der nächste Marathon sein, für den man trainiert. Auch ein Spaziergang am Morgen, die Lieblingssportart, die Verabredung zum gemeinsamen Bewegen mit einer guten Freundin wirken kraftspendend und belebend. Übrigens ist Ausdauersport auch eine gute Vorsorge vor körperlichen und seelischen Erkrankungen…
5. Die eigenen Gedanken beobachten. Manchmal sind es die eigenen Gedanken, die uns die meiste Kraft rauben. Zum Beispiel, wenn uns sorgenvolle Gedanken belasten oder sich bestimmte Gedanken in Endlosschleife in unserem Korp drehen. Beobachten Sie mal, welche Gedanken sich dabei meistens wiederholen und ersetzen Sie sie wenn möglich durch hilfreichere Gedanken (z. B. statt: „das schaffe ich nie“ zu „ich werde mit meinem Chef darüber sprechen und einen Teil der Arbeit abgeben.“ Auch sich in die Gegenwart zurückzuholen (was ist jetzt gerade die Realität?) kann sehr hilfreich sein.
6. Grenzen setzen. Auch die Beziehung zu anderen Menschen kann dazu führen, dass uns Energie fehlt, vor allem, wenn wir dazu neigen, die Erwartungen anderer erfüllen zu wollen oder sehr viel helfen zu wollen. Entscheidend ist eine gute Balance: Was will ich und kann ich gerne geben, was ist mir zu viel und wo liegen meine Grenzen? Will ich den anderen nicht enttäuschen und gehe deshalb über meine Grenzen hinaus? Befragen Sie sich selbst ehrlich und üben Sie sich darin, gesunde Grenzen zu ziehen.
7. Spiel, Spaß und Kreativität. Last not least: Spiel, Spaß und Kreativität füllen Ihren Energiespeicher ebenfalls sehr gut wieder auf. Tätigkeiten, die ganz zweckfrei sind, in denen Sie ungestört Ihren Gedanken nachhängen oder das tun können, was Sie einfach am liebsten tun, wirkt enorm entspannend und setzt viel kreatives Potential und Lebenskraft frei. Das kann sein ausgelassen zur Lieblingsmusik zu tanzen, eigene Songs zu komponieren oder Science-Fiction-Romane zu schreiben… Sie wissen schon, was ich meine. ;-)
…
Herauszufinden, was Sie wirklich nährt, ist individuell. Das kann Zeit für sich allein oder in Gemeinschaft mit anderen bedeuten, für den einen ist es die sportliche Herausforderung, bei der er/sie alles um sich herum vergisst, für den anderen sind es möglichst viel Ruhe und Nichtstun. Beobachten Sie doch mal, in welchen Momenten Sie sich besonders wohl fühlen. Was sind Ihre liebsten Kraftquellen?
Ich wünsche Ihnen viel Kraft, Energie und Wohlbefinden!
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Erlernte Hilflosigkeit: Da kann man nichts machen…
In den 1960er Jahren fanden die amerikanischen Psychologen Martin E. P. Seligman und Steven F. Maier in Versuchen mit Hunden heraus, dass wiederholte Erfahrungen von Hilf- und Machtlosigkeit dazu führen können, dass die Tiere sich standardmäßig passiv und vermeidend verhalten. Die Versuche zeigten, dass die Tiere auch dann weiterhin hilflos und resigniert reagierten, wenn sich die äußere Situation verbesserte. Das Modell der „erlernten Hilflosigkeit“ kann auf Menschen übertragen werden und meint entsprechend die Erwartung eines Individuums, bestimmte Situationen oder Sachverhalte nicht kontrollieren und beeinflussen zu können.
Mit anderen Worten verfestigt sich unter bestimmten Lebensumständen in uns der Glaube, dass wir es aus eigener Kraft nicht schaffen können, eine Situation zu verändern oder zu verbessern. Wir nehmen unbewusst eine passive Haltung ein und reden uns ein: „Ich kann nichts tun.“, „Das war schon immer so.“, „Das habe ich noch nie gekonnt.“, „An mir liegt es nicht – die anderen müssen sich verändern.“,
„Das Schicksal ist einfach gegen mich.“ Oft ist diese innere Haltung nicht spontan entstanden, sondern wurde schon früh geprägt, z.B. durch unsere Art, wie wir Misserfolge interpretieren oder auch durch ein Umfeld, das unsere scheinbare Hilflosigkeit bestärkte.
Statt unsere Möglichkeiten wahrzunehmen und auch unser Handeln so zu lenken, dass wir uns aus einer herausfordernden Situation befreien und daran wachsen, können diese inneren Stimmen uns blockieren und klein halten. Wir gehen damit in eine selbst gewählte Falle, denn wir halten so sehr an den Überzeugungen fest, dass wir nichts tun können und hilflos sind, dass wir keinen Versuch mehr unternehmen, die Dinge in die Hand zu nehmen und unser Schicksal selbst zu lenken. Damit ist nicht gemeint, dass man jede Situation ändern und kontrollieren kann – aber oft haben wir sehr viel mehr Einfluss, als wir meinen, und halten uns nur unsere erlernten Gedanken- und Verhaltensmuster zurück.
Was können wir tun, um uns aus der erlernten Hilflosigkeit zu befreien?
Was also tun gegen die Stimmen im Kopf, die uns einflüstern, wir seien machtlos? Wir können selbst einige Schritte tun, um uns aus der Falle der erlernten Hilflosigkeit zu befreien:
1. Bewusst werden. Sich selbst beobachten und herausfinden, in welchen Situationen wir vielleicht passiv/mit Hilflosigkeit reagieren und vorschnell aufgeben, obwohl wir anders hätten handeln können. In welchen Situationen könnte es sich vielleicht lohnen, unsere einschränkende Haltung aufzugeben? Was flüstert die Stimme uns wiederholt in solchen und ähnlichen Situationen zu? Glaubenssätze identifizieren und einfach mal aufschreiben.
2. Eine neue Haltung finden. Wenn Sie Ihre typischen Überzeugungen identifiziert haben – welche innere Haltung würde Sie vielleicht besser unterstützen? Könnten Sie sich selbst auch etwas sagen, wie: „Das hat (noch) nicht geklappt, aber ich kann es lernen.“ oder „Ich mache es einfach/probiere es einfach mal aus.“ oder „Ich traue mir das zu.“ Welche Überzeugung motiviert sie am meisten? Sie können es sich zu Ihrem neuen Mantra/Ihrer neuen Einstellung machen.
3. Ihre Ressourcen aktivieren. Überlegen Sie sich Beispiele, wo es in der Vergangenheit vielleicht schon geklappt hat, aktiv zu sein und Ihr Schicksal zu beeinflussen? Was haben Sie bereits selbständig und aus eigener Kraft geschafft oder gelernt? Was haben Sie schon gemeistert und welche Hindernisse haben Sie schon genommen – und sich das vorher vielleicht auch nicht zugetraut. Erzählen Sie sich selbst von Ihren Erfolgen und erkennen Sie Ihre eigenen Stärken an.
4. Kleine Schritte. Genauso wichtig wie die innere Haltung ist auch unser Handeln. Nehmen Sie sich kleine Situationen und Schritte vor, mit denen Sie Ihre neue Haltung in die Tat umsetzen wollen. Suchen Sie sich gezielt Situationen, die Sie ein kleines bisschen herausfordern und probieren Sie aus, was Sie alles erreichen können, wenn Sie es sich vornehmen. So beweisen Sie sich selbst, dass Ihr Handeln wirksam ist. Mit der Zeit trauen Sie sich mehr und mehr zu und verlieren mehr und mehr die Haltung der erlernten Hilflosigkeit.
5. Verantwortung für sich selbst. Diese Schritte führen auch dazu, dass Sie mehr Eigenverantwortung übernehmen. Sie nehmen selbst die Zügel in die Hand und lenken sich selbst sanft aber bestimmt in die Richtung, die Ihnen gefällt. Niemand anderes als Sie kann das und wenn Sie die Verantwortung für sich übernehmen, können Sie bemerken, wie Ihr Einfluss und Ihre Macht auf Ihr Leben wachsen. Wir brauchen andere – aber wir sind auch frei darin, uns selbst zu helfen und zu unterstützen. Das ist eine erwachsene Haltung.
Nun heißt es: üben, üben, üben. ;-) Ich wünsche Ihnen viel Freude, sich aus den alten Denkmustern zu befreien und eine neue, selbstverantwortliche Haltung zu entwickeln. Für ein zufriedenes und erfülltes Leben!
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Zum Umgang mit Scham
Scham ist ein Gefühl, dass wir am liebsten vermeiden möchten. Es ist schwer, über ein Thema zu sprechen, das wir mit Scham verbinden, und wenn wir uns akut für etwas schämen, suchen wir oft unbewusst schon nach einer Tür mit der Aufschrift „Exit“. Die Scham behält dadurch ihre Macht über uns, dass wir schweigen und nach außen so tun, als wäre alles in Ordnung, während wir im Inneren mit unseren Gefühlen kämpfen und uns minderwertig fühlen.
Beispiele für schambesetzte Themen können sein: beruflich läuft es gerade schlecht, arbeitslos zu sein, Probleme in der Partnerschaft, keinen Partner zu finden, kinderlos zu sein, ungeduldig mit seinen Kindern zu sein, die Kinder anzuschreien, süchtig zu sein, eine Krankheit zu haben, depressiv zu sein, wenig leistungsfähig zu sein, die Bewertung des eigenen Aussehens…
Die Scham kann einen Ursprung in der Kindheit haben, wenn wir beispielsweise als Kinder von Familienmitgliedern oder von einem Lehrer wiederholt beschämt wurden. Ich finde es sehr interessant zu erforschen, wann und in welcher Situation wir erstmals Scham empfunden haben. Manchmal ist es aber auch ein guter Zugang, der Scham einfach mal zuzuhören und zu bemerken, was wir uns selbst in diesem Moment erzählen, etwa: „Ich bin nicht gut genug“, „ich bin falsch, so wie ich bin“, „ich bin schlecht“…
Damit unsere vermeintliche Fehlerhaftigkeit nicht ans Licht kommt, werden wir zu wahren Schauspieler*innen oder bemühen uns, noch perfekter zu sein – und verstärken damit diese Glaubenssätze und Überzeugungen eher noch. Unbewusst hängen wir unseren Selbstwert daran, etwas Bestimmtes sein oder leisten zu müssen (oder eine bestimmte Erfahrung nicht gemacht zu haben), um unserem Ideal zu entsprechen und anerkannt zu werden. Dadurch kann eine regelrechte Schamspirale in uns entstehen.
Um etwas daran zu ändern und der Scham ihre Macht zu entziehen, ist es notwendig, sich mit ihr und unseren dunklen Seiten auseinanderzusetzen. Es geht darum – auf achtsame Weise, d.h. in kleinen Schritten – uns selbst so zu akzeptieren und zu zeigen, wie wir sind. Wenn wir uns bewusst trauen, über unsere Scham und Verletzlichkeit zu sprechen und unsere vermeintlichen Fehler und Makel nicht weiter verbergen, wächst das Vertrauen in uns selbst und wir entwickeln mehr und mehr Schamresilienz.
Schamresilienz meint in diesem Zusammenhang anzuerkennen, dass wir auch Fehler haben, aber trotzdem die Fähigkeit haben oder entwickeln, authentisch zu bleiben, wenn wir Scham empfinden, diese Erfahrung durchzustehen, und mit mehr Mut, Verbundenheit und Mitgefühl daraus hervorzugehen. Das kann bedeuten, dass wir während einer beruflichen Präsentation unsere Unsicherheit zugeben, vor uns und anderen unsere Ängste eingestehen oder offen darüber sprechen, was in unserem Leben gerade nicht so gut läuft. Dadurch werden wir authentischer, echter und lösen uns immer stärker von unserer Scham.
Schamresilienz entwickeln – Schritte im Umgang mit Scham
Wie geht das konkret? Welche Schritte können wir selbst tun, um mit Gefühlen von Scham besser umzugehen und freier davon zu werden?
1. Die Scham erkennen und ihre Botschaften nachvollziehen. Der erste Schritt ist, sich die Momente, in denen wir Scham empfinden, bewusst zu machen und sich die eigenen Gefühle einzugestehen. Hilfreich kann sein, eine Liste mit allen Dingen anzufertigen, die wir an uns selbst nicht mögen und für die wir uns manchmal schämen. Allein eine solche Liste zu machen, es sich von der Seele zu schreiben, kann schon befreiend wirken. Dabei können wir uns auch fragen: Was wiederholt sich? Durch welche Botschaften und Erwartungen an uns selbst wird die Scham ausgelöst?
2. Realitätscheck – Sind meine Erwartungen realistisch? Wenn wir die dahinterstehenden Erwartungen herausgefunden haben, können wir beginnen, diese einem Realitätscheck zu unterziehen. Sind die Anforderungen an uns selbst realistisch oder zu hoch? Würden wir die gleichen Erwartungen auch an andere Personen, an Freunde richten? Sind unsere Fehler und Schwächen wirklich so schlimm? Mit solchen und ähnlichen prüfenden Fragen können wir den Erwartungen und der Scham allmählich den Boden entziehen.
3. Über Scham sprechen. Keine leichte Aufgabe. Deshalb sollten wir auch erstmal nur mit denjenigen Menschen über unsere Scham und Verletzlichkeit sprechen, denen wir vertrauen. Über die Scham zu sprechen ist dennoch der zentrale Aspekt, um etwas zu verändern und über die Scham hinauszuwachsen. Wir stehen zu dem, was und wer wir sind und können dadurch die Erfahrung von Selbstannahme machen – und von Akzeptanz und Verbundenheit mit anderen Menschen.
4. Selbstannahme üben – Sich zeigen, wie man ist. Je häufiger wir uns erlauben, über die Scham zu sprechen und uns vor anderen zu zeigen, wie wir sind, desto mutiger und selbstbewusster werden wir. Wir machen uns unabhängig von dem, was andere von uns denken könnten und allein das kann uns ein gutes Gefühl und einen enormen Aufschwung geben. Vielleicht hilft es uns am Anfang, erst einmal „so zu tun, als ob“, das heißt, so zu tun, als wären wir schon selbstbewusst mit unseren Schwächen. Dann können wir langsam immer mutiger und echter, in Übereinstimmung mit uns selbst, handeln.
Ich wünsche Ihnen einen gelassenen Umgang mit Ihrer Scham und den Mut, sich so zu zeigen, wie Sie sind. Sie brauchen nicht perfekt zu sein.
Literatur:
Brené Brown, Verletzlichkeit macht stark. Wie wir unsere Schutzmechanismen aufgeben und innerlich reich werden, München 2013.
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Der innere Ort der Geborgenheit
Am Jahresende kommen wieder einige Themen besonders nah an uns heran: Das Weihnachtsfest steht kurz bevor, Corona ist leider weiterhin präsent und auch allgemein sind wir vielleicht erschöpft nach allem, was wir zuvor geleistet und erfahren haben. Auch alte Ängste und Befürchtungen können in dieser Zeit erneut auftauchen.
Eigentlich könnten wir jetzt herunterfahren und uns eine Pause gönnen, und dennoch bleiben wir oft noch in unserem schnellen Tempo und fühlen uns innerlich gestresst. Momentan und in unserem Alltag ist es oft nicht möglich, dann sofort eine Urlaubsreise zu machen und an einem fernen Ort irgendwo am Strand zu entspannen.
Wenn wir innerlich mehr zur Ruhe kommen wollen und unserem erschöpften Ich eine Auszeit gönnen möchten, haben wir jedoch auch die Möglichkeit, uns nach innen zu wenden, und in uns selbst die Vorstellung eines Ortes entstehen zu lassen, der vollkommen unseren Vorstellungen von Ruhe und Geborgenheit entspricht.
Allein schon diese Vorstellung ist hilfreich, um innerlich aufzutanken und uns besser zu fühlen. Zahlreiche Studien belegen mittlerweile die Wirksamkeit von Imagination.
Im Folgenden möchte ich Ihnen die Übung des „inneren Ortes der Geborgenheit“ vorstellen, die Sie für sich anwenden können, wann immer Sie es möchten und brauchen:
Suchen Sie sich einen Ort, an dem Sie in den nächsten Minuten ungestört sind, und nehmen Sie eine bequeme Haltung im Sitzen oder Liegen ein.
Ich möchte Sie einladen, in Ihrer Vorstellung einen Ort entstehen zu lassen, an dem Sie sich ganz und gar wohlfühlen. Es kann ein Ort auf der Erde sein, muss es aber nicht. Verschiedene Ihnen bekannte Orte können sich mischen, wie in einem Traum. Es kann eine Landschaft sein, ein Ort in der Natur, ein besonderer Raum oder… Anders als in der Realität sind Ihnen in der Vorstellung keine Grenzen gesetzt.
Dieser Ort vereint alle Qualitäten, die Ihrer Vorstellung von Geborgenheit und Wohlgefühl entsprechen. Nehmen Sie sich die Zeit, alle Gegebenheiten dieses Orts so auszumalen, wie es Ihnen gefällt. Welche Dinge, welche Eigenschaften gehören dazu? Gibt es Pflanzen, Wasser, Bäume oder eine bestimmte Einrichtung? Ist der Raum eher weit oder begrenzt? Ist es Tag oder Nacht, eher hell oder dunkel? … Was brauchen Sie, um sich hier ganz wohlzufühlen?
Denken Sie nicht zu viel darüber nach, sondern lassen Sie die Bilder wie von selbst zu Ihnen kommen.
Sie können dem Ort eine Begrenzung geben, wie beispielsweise eine Hecke oder eine Mauer oder auch eine Art magische Grenze, damit Sie sich hier ganz sicher fühlen. Wenn Sie möchten, können Sie auch andere Lebewesen an diesen Ort einladen, die Sie hier haben möchten. Damit sind freundliche und liebevolle Begleiter, Helfer oder auch Tiere gemeint, die Ihnen an diesem Ort Gesellschaft leisten.
Prüfen Sie nun, ob Sie sich dort mit allen Sinnen wohl fühlen: Gefällt Ihnen das, was Sie sehen? Wenn es noch etwas gibt, das Ihnen nicht gefällt, dann ändern Sie es bitte. Ist das, was Sie hören, Klänge, Geräusche oder auch Stille, für Ihre Ohren angenehm – oder muss noch etwas verändert werden? Sind alle Gerüche für Sie angenehm? Wie ist die Temperatur an diesem Ort?
Wo befinden Sie sich dort selbst und wie ist Ihre Körperhaltung? Möchten Sie Ihre Haltung noch etwas verändern, dass Sie sich ganz wohlfühlen? Wenn Sie erschöpft sind, was würde dann jetzt am besten für Sie passen? Verändern Sie alles so weit, dass es für Sie stimmig ist.
Wenn jetzt alles so ist, wie Sie es mögen, nehmen Sie sich die Zeit, es auszukosten und auf sich wirken zu lassen. … Nehmen Sie wahr, wie es sich anfühlt, an diesem inneren Ort der Geborgenheit zu verweilen. Sie können auch eine körperliche Geste vereinbaren, die Sie an diesen Ort erinnert und die Ihnen als Anker hilft, den Ort später in Ihrer Vorstellung wieder leichter aufzurufen.
Beenden Sie dann die Übung, indem Sie den Kontakt Ihres Körpers mit dem Boden wahrnehmen, zum Beispiel den Kontakt der Fußsohlen zum Boden.
Ich wünsche Ihnen viel Freude mit der Imaginations-Übung und wunderbare und erholsame Feiertage!
Literatur:
- Luise Reddemann, Imagination als Heilsame Kraft. Ressourcen und Mitgefühl in der Behandlung von Traumafolgen, Stuttgart 2019.